Die Vorgeschichte mindert nicht die Schuld Russlands

Kriege fallen nicht vom Himmel. Sie haben immer eine politische Vorgeschichte, so auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Sie in den Blick zu nehmen, ist für das Verstehen der Ursachen dieses Krieges erforderlich, ändert aber nichts an der Schuld des Angreifers. Soziale und politische Ursachen erzeugen keinen linearen alternativen Handlungszwang für die geschichtlichen Akteure. Russland hat in einer geopolitischen Auseinandersetzung mit den USA und ihren Verbündeten um die machtpolitische Dominanz in Osteuropa, das Russland als sein Einflussgebiet betrachtet, in eigener Verantwortung zu den Mittel des Angriffskrieges gegriffen. Tatsache ist, dass die USA mit vielerlei Mittel und Methoden seit den 1990er Jahren bestrebt war, den russischen Einfluss zurückzudrängen und Russland vom restlichen Teil Europas zu isolieren. Diese geopolitische Strategie kann man mit guten Gründen als verfehlt kritisieren. Sie war nicht geeignet den Frieden in der Region zu befördern, sondern riskierte eine Eskalationsspirale. Denn die russische Regierung hat nicht erst 2022 zu militärischen Mitteln gegriffen, um den von ihm beanspruchten Machtbereich für sich zu „sichern“. Der US-Regierung ist solch eine imperiale Machtpolitik mit militärischen Interventionen nicht fremd. Sie gehört auch in ihr geopolitisches Arsenal. – Aber zum Mittel des Angriffskrieges hat nicht die NATO gegriffen. Sie hat auch keinen Krieg gegen Russland vorbereitet. Russland hat nach der Besetzung der Krim und nach der militärischen Unterstützung der Separatisten im Donbass den Angriffskrieg gegen die Ukraine geplant, offen angedroht und letztlich begonnen. Das war die alleinige Entscheidung der russischen Regierung, für die sie nicht die „miese“ Politik der USA und der NATO verantwortlich machen kann. Wer seine vermeintlich berechtigten Ziele mit politischen, wirtschaftlichen oder ideologischen Mitteln nicht erreicht, kann daraus kein Recht zum Angriffskrieg ableiten. Dieser ist sowohl rechtswidrig wie auch Unrecht.

Vorgeschichte und der Ausweg aus dem Krieg

Die Vorgeschichte des Krieges mindert nicht die Verantwortung der russischen Regierung, aber sie zu betrachten, ist erforderlich, um einen Weg zu seiner Beendigung zu finden. Sie ist notwendig für den langen Weg zu einem stabilen Frieden. Dafür ist das Eingestehen des Versagens der geopolitischen Strategie der USA und der NATO, die das Risiko, dass die Ukraine zum Schlachtfeld wird, nicht mit der erforderlichen Sorgfalt beachtet hat, von großer Bedeutung.

Ukraine führt kein „Stellvertreterkrieg“

Trotz dieser geopolitischen Konfrontationsgeschichte führt die Ukraine keinen „Stellvertreterkrieg“ für die USA und den Westen, wie das nicht nur russische Politiker*innen behaupten, sondern auch Politiker*innen aus Deutschland und anderen NATO-Ländern suggerieren. Die Ukraine kämpft nicht für die „Interessen des Westens“ in diesem Krieg, sondern kämpft für ihre staatliche Unabhängigkeit und den Erhalt ihres Selbstbestimmungsrechts.

Wenn ukrainische Politiker*innen das falsche Narrativ vom „Stellvertreterkrieg“ für das westliche Europa bemühen, dient es der Mobilisierung der umfassenden finanziellen und militärischen Unterstützung durch die NATO-Länder. Wenn deutsche Politiker*innen es benutzen, wollen sie damit die Bereitschaft der Bevölkerung festigen, die Lasten dieser Unterstützung zu tragen.