Wer Wohnungen vergesellschaftet, schafft nicht eine neue Wohnung?

Wer Wohnungen kauft (o. vergesellschaftet), schafft nicht eine neue Wohnung. – Das ist eine sinnfreie Aussage im Mäntelchen des Arguments. – Wer Äpfel kauft, erntet keine Birnen. Je grüner desto schwimmst.

Die ernsthafte Variante dieses Widerspruchs gegen die Rekommunalisierung (durch Rückkauf oder Vergesellschaftung) lautet: Die Stadt könne doch für das viele Geld (Kaufpreis oder Entschädigung) besser neue Wohnungen bauen. Dann hätte man unter Strich mehr Wohnungen. Die absehbaren Antworten will man offenbar durch den sinnfreien Kontraspruch wohl vermeiden.

  1. Für das gleiche Geld könnte man nicht mehr, sondern viel weniger kommunale und bezahlbare Wohnungen neu bauen! – Bezahlbar von Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen. Der Neubau an sich ist heute sehr teuer. Auch bei einem einfachen Sozialwohnungsstandard muss das Land für eine kostendeckende Miete noch einmal 100% draufzahlen, um die Neubauwohnungen mit sozial verträglichen Mieten anbieten zu können. Das geschieht bei der derzeitigen Wohnungsbauförderung auch.
  2. Der wirtschaftliche wie auch der soziale Wert von Wohnhäusern sind lageabhängig. Dort wo bereits Wohnhäuser stehen, idealerweise mit einer adäquaten öffentlichen Infrastruktur (Kitas, Schulen, Kultureinrichtungen, ÖPNV, Straßen und Grünflächen), ist kein Platz, kein Grund und Boden für neue Wohnhäuser.
  3. Bauen – Bauen – Bauen? Nur mehr Wohnung helfen?
    Die Kritiker von kommunalen Kauf, Vorkauf und Vergesellschaftung von Bestandswohnhäusern ignorieren (oder vertuschen bewusst) die drei Grundregeln des Immobiliengeschäfts: Lage – Lage – Lage. Eine Immobilie ist eine lagebestimmte Ware, auch als Mietshaus. Für ein vollkommen identisches Wohnhaus kann der Investor am Ort A den doppelten, am Ort B vielleicht sogar den dreifachen Preis erzielen gegenüber dem, der am Ort C durchsetzbar ist. Berlin ist kein einheitlicher Wohnungsmarkt, sondern besteht aus vielen mehr und weniger autonomen Teilmärkten. Nur ein Angebotsüberhang in einem Teilmarkt kann die Preise in diesem drücken. Ein Überangebot von Wohnungen am Stadtrand bewegt die Preise in Gründerzeitquartieren in der Innenstadt nicht.

Einfach nur mehr neue Wohnungen bauen, ist keine Lösung. Neubau von kommunalen subventionierten Sozialwohnungen, insbesondere in den Stadtteilen, wo es keine preiswerten Wohnungen mehr gibt, ist erforderlich. Nur, das bliebe vollkommen wirkungslos, wenn nicht zugleich der Mietenauftrieb im Wohnungsbestand gestoppt wird. Es ist völlig ausgeschlossen den Mietpreisanstieg in erster Linie durch Neubau einzufangen. Allein ein Blick auf die Größenordnungen von Mietwohnungsbestand und denkbarem Neubau  sollte das jedem einsehbar machen. Hinzu kommen die Fakten der geteilten, lokalen Märkte und deren immanenten Tendenz zur Trennung der Mieterschaften nach ihrem Einkommen.

Deshalb ist Kaufen, Vorkaufen und Vergesellschaften von Mietshäusern für eine nachhaltige soziale Stadtentwicklung so wichtig. Ohne dies würde der soziale Wohnungsneubau entwertet und zum Auffangbecken der aus ihren aufgewerteten Kiezen vertriebenen Mieter degradiert.

#Nelken2021 | 12|09

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