Vorkaufsrecht – Instrument sozialer Wohnungspolitik

Unter verschiedenen Voraussetzungen besitzt die Gemeinde nach Baugesetzbuch (§ 24 BauGB) ein allgemeines Vorkaufsrecht, so auch in sozialen Erhaltungsgebieten („Milieuschutzgebiete“). Das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten ist in Berlin unter R2G zu einem Instrument der sozialen Wohnungspolitik geworden.

Jeder Verkauf einer Immobilie bedarf für den grundbuchlichen Vollzug der Zustimmung (Negativzeugnis) durch den Bezirk. Dieser kann zur Sicherung der Ziele der Milieuschutzverordnung sein Vorkaufsrecht durch den Eintritt in den vorgelegten Kaufvertrag ausüben. Da die Bezirke keine eigenen Wohnungsbestände halten und bewirtschaften, üben diese den Vorkauf zu Gunsten eines Dritten aus, der die Erreichung der Ziele des Milieuschutzes garantiert. Das sind bislang vor allem städtische Wohnungsbaugesellschaften – aber auch vermehrt Genossenschaften.

Der davon betroffene Käufer kann diesen Vorkauf dadurch abwenden, dass er mit dem Bezirk eine Abwendungsvereinbarung abschließt, in der er sich verbindlich verpflichtet, bestimmte soziale Auflagen, wie etwa den Verzicht auf bestimmte miettreibende Baumaßnahmen oder auf die Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen, zu erfüllen. Die Senatsverwaltung hat den Bezirksämter eine Mustervereinbarung zur Verfügung gestellt. Die Bezirke handeln mit den Käufern die Abwendungsvereinbarungen natürlich stets entsprechenden der konkreten Bedingungen aus.

Die sozialen Ziele der Milieuschutzverordnungen können im Verkaufsfall also durch Abwendungsvereinbarungen oder Vorkauf abgesichert werden. Die Käufer sind zum Abschluss solcher Vereinbarungen eher bereit, wenn sie damit rechnen müssen, dass der Bezirk andernfalls sein Vorkaufsrecht tatsächlich ausüben wird.

Vorkaufsrechtspraxis

Die Vorkaufsrechtspraxis in Milieuschutzgebieten hat sich in den Berliner Bezirken sehr unterschiedlich entwickelt. Zweifellos hat das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hier eine Vorreiterrolle eingenommen. Der Baustadtrat Florian Schmidt (Bündnis 90/Grüne) sah sich deshalb vielfältiger Anfeindungen ausgesetzt. Auf Grund des öffentlichkeitswirksamen Drucks viele Mietergemeinschaften betroffener Häuser wurde das Instrument des Vorkaufsrechtes und der Abwendungsvereinbarung auch in anderen Bezirken immer mehr zur Anwendung gebracht. Zugleich wurde die Anzahl der Milieuschutzgebiete rasant ausgeweitet. Sie hat sich in den letzten 5 Jahren von 33 auf 64 fast verdoppelt.

Die Ausübung der Vorkaufsrechtes in Milieuschutzgebieten erfolgte 2015 – 2020 in 80 Fällen, Davon im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg 32 mal, in Neukölln 18, in Mitte 11, in Tempelhof-Schöneberg 9, in Pankow 6, in Treptow-Köpenick 2 und in Reinickendorf und Lichtenberg jeweils 1 mal. Bei den Abwendungsvereinbarungen sieht die Entwicklung ähnlich aus: Neukölln 66, Friedrichshain-Kreuzberg 63, Mitte 56, Tempelhof-Schöneberg 44, Pankow 33, Treptow-Köpenick 12, Lichtenberg 9, Reinickendorf 4, Spandau 3 und Charlottenburg-Wilmersdorf 2.[1]

Allerdings konnten eine Reihe von Prüfverfahren weder mit einer Abwendungsvereinbarung noch mit einem Vorkauf abgeschlossen werden. Die Zahl der durchgeführten Prüfungen ist über die Jahre i.d.R. angestiegen: 2017 = 45, 2018 = 183, 2019 = 157, 2020 = 252. Von den 252 Prüfungen im Jahre 2020 führten 161 zu Abwendungsvereinbarungen und Vorkäufen abgeschlossen, während 91 Verfahren ohne sozialen Schutz für die Mieter beendet wurden.

Einen Vorkauf kann es nur geben, wenn es einen Verkauf gibt. Insofern wäre der Vergleich mit den Verkaufsfällen insgesamt aussagekräftiger. Allerdings gibt es keine berlinweite Gegenüberstellung von Verkaufsfällen und durchgeführten Prüfverfahren. Für die Pankower Milieuschutzgebiete liegen mir dazu Angaben für 2019 und 2020 vor.[2]

Pankow. Soziale Erhaltungsgebiete Negativzeugnisse

(Verkäufe)

Prüffälle Vorkäufe Abwendungs- Vereinbarungen
2019 64 17 2 10
2020 81 24 3 12

 

Auch wenn zu anzunehmen ist, dass es für viele Kauffälle gesetzliche oder auch materielle Ausschlussgründe für die Ausübung des Vorkaufsrechtes gibt [3], so verzichteten in vielen Fällen die zuständigen Bezirksstellen auch aus schlichter Überlastung und dem sehr engen Zeitfenster auf die Durchführung der aufwendigen Prüfverfahren. Die Verlängerung der Frist für die Ausübung des Vorkaufsrechts von 2 auf 3 Monate, die mit der Novelle des Baugesetzbuches seit Mitte 2021 in Kraft ist, schafft da allenfalls eine kleine Entlastung, aber an den Grundproblemen des Verfahrens ändert das wenig.

Immobilienroulette & Spekulationspreise

In das Immobilienroulette mit Wohnhäusern in den Milieuschutzgebieten Berlins dreht offenbar weiter auf hohem Niveau. Wöchentliche gehen neue Mietergemeinschaften auf die Straße, weil ihr Wohnhaus verkauft worden ist. Sie fordern die Politiker auf Bezirks- und Landesebene auf, alles zu tun, um sie zu schützen und das Vorkaufsrecht auszuüben.

Die in den Kaufverträgen vereinbarten Kaufpreise sind aber viel zu hoch, sind Spekulationspreise. Das macht es durch die Ausübung des Vorkaufsrechtes zu begünstigende Dritte wirtschaftlich nahezu unmöglich, eine soziale Vermietung der Häuser zu garantieren. Deshalb Bedarf es direkter finanzieller Unterstützung und Förderung durch das Land Berlin. Dafür stellt der rot-rot-grüne Senat Zuschüsse und den Genossenschaften Förderdarlehn zur Verfügung. Diese Haushaltsmittel sind natürlich begrenzt. Das setzt auch der Ausübung des Vorkaufsrechtes in den Bezirken enge Grenzen. Zudem ist natürlich auch kein Beitrag zur Marktdämpfung, wenn auch das Land derart überzogene Spekulationspreise bezahlt.

Vorkaufsrecht schafft doch keine neuen Wohnungen?

Dennoch ist die konsequente Ausübung des Vorkaufsrechtes ein sehr wichtiges Instrument einer sozialen Wohnungspolitik. Denn zum einen nimmt man damit weitere Wohnhäuser auf Dauer vom Spekulationsmarkt. Das Vorkaufsrecht erhält für viele bezahlbare Wohnungen, verhindert Verdrängung und wirkt der sozialräumlichen Spaltung der Stadt entgegen. Zum anderen signalisiert die Stadt an die Marktakteure, dass es doch angezeigt sei, mit den Bezirksämter Abwendungsvereinbarungen über eine sozialverträgliche Bewirtschaftung von Wohnhäuser abzuschließen. Da die Bezirke willens und in der Lage sind von ihrem gemeindlichen Vorkaufsrecht auch Gebrauch zu machen.

Die Behauptung, dass man doch mit dem gleichen Geld, das für die Ausübung des Vorkaufsrechtes als Förderung eingesetzt würde, viel besser neuen Wohnraum schaffen könnte, ist einfach falsch. Das ist ein von der Immobilienlobby gezielt verbreitetes Märchen. Der Neubau von Wohnungen ist heute für sich genommen noch sehr viel teurer als der Kauf von Bestandswohnhäusern, die einige Jahrzehnt Nutzung hinter sich haben. Um im Neubau soziale, für breitere Schichten leistbare Mieten wirtschaftlich darstellen zu können, bräuchte es ein Vielfaches an öffentlicher Förderung. Hin zukommt, das in den unter Aufwertungsdruck stehenden Wohnvierteln keine Baugrundstücke vorhanden sind. Wenn es ausnahmsweise doch noch ein Baugrundstück gäbe, wäre es für eine soziale Wohnungsbewirtschaftung unbezahlbar. Der Neubau ist also gegenüber dem Vorkauf kein alternatives Instrument der sozialen Wohnungspolitik, sondern ein weiteres, das man überall anwenden sollte, wo die Bedingungen dafür vorhanden sind.

(30.07.2021)

[1] vgl. Drs. 18/3638, 4. Bericht über die Wahrnehmung von Vorkaufsrechten

[2] siehe Drs. VIII – 0529 der BVV Pankow v. Berlin

[3] siehe Konzept für die Nutzung von Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in Berlin, Rundschreiben der Senatsverwaltungen für Finanzen und Stadtentwicklung. (https://www.stadtentwicklung.berlin.de/staedtebau/foerderprogramme/stadterneuerung/soziale_erhaltungsgebiete/download/VZK-Konzept_Vorkaufsrechte.pdf)